Mein fünftes Jahr

Wiedersehensfreude

Was für ein freudiges Wiedersehen war das nach unserer langen Afrikareise mit meinen heißgeliebten Brezen! Auch wenn ich in Afrika meine Wackelpuddingsucht in den Griff bekam und Herr Hipp nun einen Abnehmer weniger für seine Spaghetti Bolognese aus dem Babyglas hat, akzeptiere ich deshalb noch lange nicht alles, was man versucht, mir aufzutischen! Schließlich bin ich 6 Monate durch Afrikas Süden gereist und habe mich ausschließlich von weichgekochten Eiern (4-5 pro Tag) und afrikanischem Glibber-Joghurt ernährt - da entwickelt der Gaumen einfach gewisse Ansprüche an die Küche!


Bördi Juju, Opa Adi

Im Januar 2016  haben wir den 100.ten von Opa Adi gefeiert - diesmal ohne Norovirus, dafür aber mit Landrat und Bürgermeister, weil Opa Adi nun der älteste Bürger Trostbergs ist!

Inspiriert durch dieses Jahrhundertereignis, habe ich Mamas und Papas Gitarre herausgekramt und bin damit ins Tonstudio gefahren, um Opa Adis bilingualen Geburtstagssong in Florienglisch aufzunehmen:

 

"Bördi Juju, lieber Opa Adi,

Bördi juju,

Mamalade im Duh,

Apikode in de Hode

und Wätschap dazu!"

 

(Übersetzung deutsch: Happy birthday to you, Marmelade im Schuh, Aprikose in der Hose und Ketchup dazu!"

 


Im Vertrauen

Psst - ich verrate Euch ein kleines Geheimnis:

 

Dass ich im Kindergarten beim Mittagessen als Einziger immer alles ratzekahl aufesse, braucht mein Personal zu Hause nicht zu erfahren!

Mama wäre nur wieder stinksauer und ich hätte dann die Schererei mit ihr - wo sie sich doch gerade in zenbuddhistischer Gelassenheit übt und ihren Brezenwiderstand endgültig aufgegeben hat! Auch meine Eier-Manie und Treue zu einem ganz bestimmten Erdbeerjoghurt akzeptiert sie endlich ohne Gegenwehr! Ich bin auf der Gewinnerstraße und in meinem persönlichen Schlaraffenland:

 

Ein Hoch auf unsere schöne Hoamat - Afrika war zwar wirklich toll, aber ein ganzes Land ohne Laugenbrezen ist wie eine Rolle Klopapier, die nicht von mir abgerollt wird - einfach unvorstellbar!


Chaos-Flo

Apropos Klopapier abrollen - schon sind wir bei meiner Lieblingsrubrik Chaos verbreiten angekommen! Mein Faible für nackten Ausdruckstanz, für bizarren Kopfschmuck und für die perfekte Imitation unfeiner Pupsgeräusche zum Zwecke der Blamierung meiner Eltern gehört zu den harmlosen Erscheinungsformen meines angeborenen Charmes.

 

Ich muss jedoch beichten, dass ich in diesem Jahr keine Gelegenheit ausließ, Mama zu piesacken. Papa jagte mit seiner Fotoausrüstung Polarlichter in Norwegen, Lamas in Chile und Bolivien und Elefanten in Botswana und ich war furchtbar sauer, dass er mich in dieser Zeit monatelang ganz alleine unserem "Putin" (so nennt Papa "liebevoll" Mama) überließ. So heckte ich allerlei - teils nicht ganz so wohlüberlegten Schabernack aus, um uns Daheimgebliebenen die Zeit zu vertreiben.

Als gelungene Mischung aus großem und bösem Zauberer Petrosilius Zwackelmann und Reinkarnation von Mc Gyver fiel es mir natürlich nicht schwer, aus Alltagsgegenständen meine Mittel zum Zweck zu zaubern.

 

So stapelte ich Papas heilige Bildbände zu einer etwas instabilen Trittleiter übereinander, um endlich unseren Küchenblock zu bezwingen.

 

Hier ruhte gut und kindersicher versteckt unser schönes, großes Grillfeuerzeug. Kindersicher ja, aber Flo-sicher nein! Ich musste nur 1 Knöpfchen drücken, schon züngelte die hübsche kleine Flamme heraus. Wie praktisch, dass auch noch Mamas Post auf dem Küchenblock lag und die jungfräulich weißen Umschläge sich hervorragend abfackeln ließen.

 

Was war das für ein Zwergenaufstand, als Mama in die Küche kam und ihre Briefe so ein bisschen brannten!

Oder der Aufstand an dem Tag, als ich im 1. Stock in meinem Zimmer spielen sollte, weil Mama "in Ruhe" etwas kochen wollte.

Eine absolute Unverschämtheit, meine Küchenhilfe auszuschlagen, wo ich wirklich ganz toll Eier aufschlagen, Mehl verschütten, Müll trennen und den Abfluss des Spül-
beckens verstopfen kann!

Ich bin ja nicht nachtragend, aber ich habe ein sehr gutes Gedächtnis. Ich rächte mich mit einem perfiden Gegenschlag: Ich schob mich mit Hintern und Beinen durch unsere offenen Treppen im 1. Stock des Treppen-

hauses, bis ich nur noch mit Oberkörper und Kopf Bodenhaftung hatte. Ich zappelte mit meinen frei in luftiger Höhe baumelnden Beinen und schrie, bis Mama angerannt kam und mich rettete. Sie schimpfte nicht einmal, sie war nur kreidebleich und zitterte. Kurz darauf kam der Opa meiner Freundin Alva - ein Handwerkergott - und nagelte unsere Treppe mit Brettern von unten bis oben komplett zu.

 

Dann rückte er eines Tages mit Schlössern für sämtliche Fenster an, um sie für immer zu verschließen! Warum? - Bloß weil ich im 1. Stock auf den Badezimmersims geklettert war und das Fenster geöffnet hatte, um einen Eimer Wasser auf die Katze zu kippen, die unten vor der Haustüre saß!

 

Der Opa von Alva kam dann noch ein drittes Mal, um das Geländer um unseren 3 m tiefen Lichtschacht zum Keller mit Bambusmatten und Hasendraht gegen meine Freeclimbing-Versuche zu schützen. Auch unser gesamter Gartenzaun wurde anschließend mit Hasendraht klettersicher gemacht. Sogar das von Opa Adi in mühevoller Handarbeit ziselierte Holzgartentürchen wurde mit hässlichem Wellplastik verblendet, damit ich keine Trittflächen für meine Ausbruchsversuche mehr hatte. Unser Haus und Garten waren nun abgesichert wie Fort Knox!

 

Ich gab trotzdem nicht auf und grub stattdessen einen Tunnel unter dem Zaun, übte mit unserem Laubrechen Stabhochsprung und baute eine Paletten-Rampe, um über den Zaun zu kommen. Doch all meine Fluchtversuche wurden vereitelt! Kurzum - jeder Spaß wurde mir verdorben. Und das alles nur, weil ich ein einziges Mal über das Türchen geklettert war und fast vor einen Lastwagen gelaufen wäre, wenn Mama mich nicht gerade noch an der Kapuze von der Straße gezogen hätte!

 

"Weglauftendenz mit geringem Gefahrenbewusstsein" war die therapeutisch verbriefte Bezeichnung für meinen Seelenzustand. Mir ging es einfach nur tierisch auf den Zeiger, dass Mama immer und überall Ansagen machte und meine Freiheiten beschnitt.

 

Mama eilte einmal die Woche zum Schulpsychologen im HPZ und schüttete ihm ihr Herz aus. Sie war zunehmend fertig mit den Nerven und ganz auf sich gestellt. Papa weilte in Afrika.


Lebenshilfe

Dass Mama hinter meinem Rücken mit dem Schulpsychologen über meine Schandtaten redete, machte mich noch wütender. Mamas freundlicher Sonnenschein konnte künftig auch anders. Ich lernte folgende Floskeln in perfektem Deutsch: Hau ab! Du bist ekelhaft! Du nervst! Halt die Klappe! Du blöde Mama! Du altes Ferkel! Du bist eine böse Mama! und ich setzte sie gnadenlos ein, sobald ich aus dem Kindergarten nach Hause kam. Mama erzählte dem Psychologen, dass sie das Gefühll hätte, ein pubertierender Teenie wohne in ihrem Haus. Sie musste oft weinen, weil ich so gemein war und dann freute ich mich und sagte: "Ja, Mama weinen soll!" Ich konnte einfach nicht aus meiner Haut.

Ich verwüstete mein Zimmer, pieselte mit voller Absicht aufs Parkett oder kackte in die vollgelassene Badewanne. Ich schmiss so lange mit Legosteinen nach meiner Mama, bis sie all meinen Spielkram in Müllsäcke verpackte und in den Keller verbannte. Dann hatte ich halt keine Spielsachen mehr, ich konnte auch anderweitig auf Mamas Nerven herum trampeln.

"Ich erkenne dich gar nicht wieder. Was ist nur los?" fragte mich Mama immer wieder ratlos. "Papa haben!" sagte ich wie aus der Pistole geschossen, gefolgt von einem "Hau ab!" für Mama.

Als Opa Adi mit Lungenentzündung ins Krankenhaus kam und meine Wunschoma Dorothea mit Opa Thomas nach Augsburg zu ihren Kindern "auswanderten", musste sich Mama endgültig eingestehen, dass sie der immer größer werdenden Baustelle um sie herum nicht mehr gewachsen war. Sie wendete sich an die Krankenkasse und die Lebenshilfe und beantragte Pflegestufe für mich, um die Möglichkeit des sogenannten familienentlastenden Dienstes in Anspruch nehmen zu können. Der familienentlastende Dienst ist eine segensreiche Einrichtung - gerade für Alleinerziehende oder Familien mit schwerbehinderten Kindern. Stundenweise und nach Vereinbarung kann man die oft erdrückende Verantwortung einmal "abgeben" und durchatmen. Nach Beantragung der Pflegestufe kommt vom Medizinischen Dienst ein Gutachter ins Haus, um die häusliche Situation einzustufen. Besteht nach der Einschätzung durch den Fachmann Anspruch auf Pflegestufe, erhält man damit nun auch die Möglichkeit, den familienentlastenden Dienst zu beauftragen. Man kann sich hierfür dann selbst eine unterstützende Kraft suchen oder sie wird auch über die Lebenshilfe vermittelt. So traten Oma Lisa und Opa Franz in mein Leben. Ich sehe sie mindestens  einmal die Woche und frage jeden Tag, wie oft ich bis dahin noch schlafen muss!


Ab 4 Jahren werden bei der Diagnose Downsyndrom übrigens meist auch Windeln von der Krankenkasse mit kinderärztlichem Rezept übernommen. Wir werden seit diesem Jahr mit Windeln, die es in der entsprechenden Größe mittlerweile handelsüblich im Drogeriemarkt gar nicht mehr zu kaufen gäbe, nach Bedarf beliefert. Das ist eine große Entlastung und auch eine Leistung der Krankenkassen, bei der man sich nicht scheuen sollte, sie in Anspruch zu nehmen. Viele Kinder mit Downsyndrom werden erst mit etwa 7 Jahren sauber.


Friedensangebot

Irgendwann siegte mein gutes Herz über das Monster in mir und so reichte ich im Frühsommer Mama die Hand zur Versöhnung. Ich war beseelt von dem Gedanken, dass wir in den Sommerferien nach 5 Monaten Papa-Abstinenz endlich zu ihm nach Afrika reisen würden.


Rückkehr nach Afrika

Vor meinen Eltern lag dieses Mal ein Haufen Arbeit. Ihr Bildband Sehnsucht Südafrika stand auf dem Plan und es hieß eifrig fotografieren und Geschichten sammeln. "Es ist nicht leicht, Job und Familie unter einen Hut zu bekommen!" hörte ich Mama manchmal seufzen. Ich vermisste die Unbeschwertheit unserer ersten Afrikareise - jetzt hieß es immer zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein für das perfekte Foto. "Arbeitsurlaub" nannte Papa unsere Reise - ich vermisste meine Freunde, den Kindergarten und die Erzieherinnen. Ich wollte spielen, bauen, toben und nicht lange Distanzen im Auto sitzen. Ich hatte Heimweh. Ich fragte, wie oft ich noch schlafen müsste, bis ich Oma und Opa und meine Freunde wiedersehe. Mir fehlte die Zwanglosigkeit unserer ersten Reise, wo wir uns einfach im Strom der Zeit treiben ließen - ohne genau zu wissen, wohin die Reise geht. Ich kann mit Druck nichts anfangen - wird irgendetwas von mir erwartet, fahre ich mein System einfach auf Null und verfalle in dornröschenähnlichen Schlaf, bis mir die Situation wieder besser taugt. So bin ich eben!

Es gab auf unserer sechswöchigen Reise aber auch viele schöne Momente und Begegnungen mit lieben Menschen, die ich nicht missen möchte. Wenn ich an Afrika denke, wird mir warm ums Herz und ich rufe dann ganz laut und voller Inbrunst: "Will wieder Afrika fliegen!" Und wie ich meine Eltern kenne, ist ihnen in diesem Fall ausnahmsweise einmal mein Wunsch Befehl...


Die Moralpredigt

Der Nikolaus wurde heuer zum heiklen Thema. Vielleicht spürte ich instinktiv, dass mich der Mann mit dem Rauschebart verbal abwatschen würde, jedenfalls benahm ich mich an diesem großen Tag so daneben, dass Mama schon die Feier bei meiner Freundin Alva canceln wollte. Als sie allerdings hörte, dass bei den Nachbarskindern die gruseligen Perchten der Bergener "Bergdeifen" mit ihren Ketten und Fackeln zu Besuch kommen, fasste Mama einen grausamen Racheplan, in den ich nicht eingeweiht wurde. Als es draußen dunkel wurde, hörten Alva und ich die Ketten rasseln und Kuhglocken läuten. Ich folgte Mama arglos auf den Balkon ihrer Freundin Steffi, von wo aus ich einen schockierend klaren Blick auf die gruselige Zottelgestalt mit Teufelshörnern und verzerrter Fratze hatte, die unten gerade durch Steffis Garten schlich. Ich schrie und schrie und schrie. Mama schrie auch, weil sie mich ja nicht zu Tode erschrecken wollte, sondern mir nur einen Denkzettel verpassen wollte. Jetzt fürchtete sie, ich bekäme einen Herzkasper und sie hätte mich dann auf dem Gewissen! Wir flüchteten schnell in die Sicherheit von Steffis Wohnzimmer und meine Angst war verflogen. Ich bin nicht nachtragend - aus den Augen aus dem Sinn.

Dann klopfte der Nikolaus bei Alva und mir an die Tür. Ich sagte ihm ohne Umschweife, dass sein Krampus aber nicht über die Schwelle kommt! Der arme gehörnte Geselle des Nikolaus blieb dann auch, ganz artig meinen Anweisungen folgend, draußen in der Kälte stehen! Über das, was in dem goldenen Buch des Nikolaus über mich stand, schweige ich mich an dieser Stelle lieber aus. Nur so viel: Er wusste so Einiges über mich und dieses schwierige Jahr - sogar, dass ich im Kindergarten die Hausschuhe von Jakob im Klo runtergespült habe!

Ich versprach, von nun an ganz brav und artig zu sein und konnte mein Glück kaum fassen, dass der Nikolaus mir trotz seiner Moralpredigt doch tatsächlich neben den üblichen Nüssen und Lebkuchen ein großes Geschenkpaket überreichte. Auch meine Mama konnte es kaum fassen: Ein toller afrikanischer Elefant von Schleich - Wahnsinn! Weil der Nikolaus eben alles über mich wusste, hatte er mir, dem weitgereisten Afrikakenner, automatisch das Savannentier ausgehändigt, welches eigentlich für meine brave Freundin Alva bestimmt gewesen wäre. Ich hatte versehentlich den Jackpot kassiert und war nicht gewillt, ihn mir wieder nehmen zu lassen!


Bördi juju, Bo

Jetzt bin ich "bümp" (=fünf). Älter, reifer, weiser - und auch wieder etwas netter. Mal schauen, was das neue Lebensjahr so bringt?! Ich halte Euch auf dem Laufenden!