Was wäre wenn?

Downsyndrom ist Teil unseres Alltags seit Flo im Dezember 2011 auf die Welt kam. Unsere Familie und unsere Freunde haben seitdem wahrscheinlich mehr von Flo über Sinn und Unsinn des Lebens gelernt als umgekehrt. Sein eigenes Tempo und seinen starken Charakter zu akzeptieren, fällt nicht jeden Tag leicht. Es gibt gute und schlechte Momente, Berg- und Talfahrten, tiefe Traurigkeit und pures Glück. Doch all dies überstrahlt zu jedem Zeitpunkt die reine, unverfälschte Liebe, die wir unserem Kind entgegenbringen. Obwohl er so ist, wie er ist? Nein, eben weil er so ist, wie er ist!

 

Als ich die Überschrift des ZEIT ONLINE Artikels "Downsyndrom lässt sich im Labor ausknipsen" las, kämpfte ich gerade mit einer von Flos unzähligenTotalverweigerungs-Macken und dachte still bei mir, dass diese bahnbrechende Entdeckung das Licht am Ende meines dunklen Tunnels bedeuten könnte. Doch im nächsten Moment schämte ich mich schon wieder für diesen Geistesblitz, weil Flo mir mit seinem unnachahmlich-ansteckenden Lachen dann doch noch den verkorksten Tag versüßte.

Trotzdem interessierte es mich brennend, was diese Ergebnisse für Betroffene und auch für die Pränatalmedizin bedeuten könnten und ich las mit Spannung den Artikel:

 

"Nach nur drei Wochen war das unerwünschte Chromosom still. Zusammengepresst und dicht verpackt in einer Stammzelle schlummerte Nummer 21 handlungsunfähig in der Petrischale."

Flo und alle Menschen mit Downsyndrom haben vom kleinsten Chromosom des Erbgutes, dem Chromosom 21, eine Kopie zu viel in jeder Körperzelle (3 statt 2). Auch der Stammzellspender für obigen Laborversuch war ein  Mann mit Trisomie 21. Die überzählige Kopie kann neben Äußerlichkeiten wie mandelförmigen Augen und kleiner Nase auch diverse organische Probleme verursachen wie Herzfehler oder Darmprobleme. Die körperliche und geistige Entwicklung läuft generell bei Downsyndrom langsamer ab.

"Aufgrund der Laborergebnisse scheint die Idee, Veranlagungen behandeln zu können, die mehrere Hundert Gene auf einem ganzen Chromosom betreffen, zumindest vorstellbar." sagt die Forscherin B. Lawrence über ihre Arbeit.

Der Leiter für Humangenetik an der Uniklinik Essen relativiert hingegen: "In absehbarer Zeit oder gar in den kommenden zehn Jahren sehe ich keine Chance auf einen therapeutischen Nutzen."  Er sieht die Forschungsergebnisse lediglich als ersten Nachweis, dass sich ein gesamtes Chromosom in menschlichen Zellen abschalten ließe. Ob dabei wirklich alle für das Downsyndrom relevanten Gene ruhen, wie stabil diese Stilllegung sei und welche weitreichenden Folgen die Abschaltung noch haben könnte, müsse sich erst zeigen.

Der Genetiker Hosthemke betont aber hierbei auch, dass diese Forschungsergebnisse langfristig helfen werden, den Prozess der Genstilllegung besser zu verstehen und die Ursache der Trisomie 21 zu entschlüsseln. Die große Bandbreite der diversen Effekte, welche durch das dritte Chromosom 21 ausgelöst werden, erschwerte bis dato die Ursachenforschung. Denn die Menschen mit Trisomie 21 sind genauso vielfältig und individuell wie jeder andere Mensch. Die Ausprägung der Trisomie 21 ist sehr unterschiedlich. Die Forscher aus Massachusetts beobachteten nun im Labor aber, dass Zellen mit überschüssigem Chromosom sich generell mangelhaft vermehrten und sich defekte Nervenzellen entwickelten, was ein allgemein gültiges Problem zu sein scheint.

 

"Viele Familien dürften der berechtigten Ansicht sein, dass das Downsyndrom keiner Heilung bedarf."  bringt der Biochemiker Neil Brockdorff die ethische Komponente ins Spiel. Er hält es für unwahrscheinlich, dass eine ganzheitliche Chromosomentherapie genutzt werden kann. Downsyndrom mit diesen Forschungsergebnissen zu "verhindern", bleibt Zukunftsmusik, da es eben aufgrund der sehr unterschiedlichen individuellen Ausprägungen von Trisomie 21 keine Breitband-Methode geben kann. "Dazu müsste man das Downsyndrom korrigieren, während der Embryo noch aus einigen wenigen Zellen besteht, lange bevor überhaupt eine Diagnose gemacht wird."  begründet Brockdorff seine Überzeugung. Er fragt sich aber gleichzeitig auch bezüglich der Ethik, ob Mediziner überhaupt die genetischen Ursachen des Downsyndroms verändern sollten.

 

Ich spiele Utopia in meinem Kopfkino kurz durch: Was würde es für Flo und unsere Familie bedeuten, wenn wir sein überschüssiges Chromosom abschalten könnten? Das Leben würde in jedem Falle um einiges langweiliger, geordneter und trister ausfallen. Mir würden sein ansteckendes Lachen, seine irren Tanzeinlagen und seine bei höchster Begeisterung maximal heraushängende Zunge fehlen. Kurzum: Mir würde Flo fehlen und ich müsste plötzlich mit einem schnöden Platzhalter vorlieb nehmen, der meinem Sohn nicht einmal als schlechte Kopie das Wasser reichen könnte. Ich würde ja auch nicht mit dem Klon meines Mannes leben wollen, der plötzlich freiwillig den Müll rausträgt oder mir die Türe aufhält - eben Seiten eines Wesens offenbart, die mir 20 Jahre an seiner Seite verborgen blieben. Was man nicht kennt, vermisst man nicht. In mir reift die Erkenntnis, dass ich Flo keinesfalls anders haben möchte. Was ich mir aber für mein Kind wünsche ist, dass er immer gesund sein möge. Und auch da liegt leider bei Menschen mit Downsyndrom häufig der Knackpunkt. Flo zum Beispiel hat ein stark erhöhtes Risiko für Leukämie und muss regelmäßig zur Blutkontrolle. Diese Sorgen würde ich mir gerne im Leben schenken.

Und so hat die Grundlagenforschung für uns alle in jedem Falle etwas Gutes: "Fürs nächste dürfte die Korrektur des Downsyndroms in Zellkulturen die Erforschung möglicher Arzneien beschleunigen. So könnten einzelne Symptome der Trisomie 21 gelindert werden, die etwa körperliche Gebrechen auslösen. Schäden einzelner Organe kommen bei Menschen mit Extrachromosom häufig vor. Zum Wohle der Millionen von Menschen mit Downsyndrom weltweit und ihrer Familien, sollten wir dies versuchen", sagt die Biologin Lawrence und plant bereits weitere Versuche an Mäusen.